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Insektensterben in Deutschland
Seit einigen Jahren beobachten Biologen bzw. aufmerksame Naturbeobachter, dass es Veränderungen in unserer Insektenfauna gibt: Sowohl die Vielfalt der verschiedenen Arten, als auch die Tierzahlen von konkreten Arten scheinen abzunehmen. In den Medien wird dies unter dem Begriff Insektensterben thematisiert.
Obwohl nahezu alle Experten für bestimmte Insektengruppen bestätigen, dass die Beobachtungen zutreffend sind, werden ihre Erkenntnisse oft angezweifelt. Der Deutsche Bauernverband spricht z.B. von "erheblichen Lücken bei der Datengrundlage" und sieht erst einmal Forschungsbedarf. Es ist richtig, dass die vielzitierte zentrale Studie von Hallmann et al. 2017 - welche einen Rückgang der Biomasse von Insekten zeigt - im Hinblick auf höchste wissenschaftliche Standards eine Schwäche aufweist: Die Insektenbiomasse wurde über den Betrachtungszeitraum nicht an immer den gleichen Standorte gemessen, wie dies im engen Monitoring-Sinne (z.B. bei Wetterdaten) sein müsste. Allerdings wurde der mögliche Einfluss dieser Schwäche des Standortwechsels auf das Messergebniss getestet: Im Bereich der üblichen statistischen Absicherung erklären Standortwechsel den Rückgang der Insektenbiomasse nicht. Dies wird von Kritikern der Studie und selbsternannten Statistikexperten ebenso gerne verschwiegen, wie die Tatsache, dass es eben leider keine besseren Daten zur Veränderung der Insektenbiomasse in unserer Agrarlandschaft gibt.
Es lohnt sich deshalb aber grundsätzlich, auch andere Studien und Beobachtungen anzuschauen, in denen Wissenschaftler über lange Zeiträume die Umwelt beobachten (Monitoring) und dabei auch die Häufigkeit von Insekten messen. Der NABU Baden-Württemberg (Autor: Adam Schnabler) hat im Jahr 2017 eine Studienübersicht zum Insektensterben veröffentlicht, deren Inhalte hier in Ausschnitten wiedergegeben werden sollen*.
Die gewissenhafte Auswertung von Forschungen und Befragungen aus Deutschland lassen keine Zweifel aufkommen, dass Insektensterben ein sehr ernstes und reales Problem ist:
*In der Studie sind auch zusätzliche Informationen zum Vogelsterben, die hier jedoch nicht wiedergegeben werden.
Fakten zum Insektensterben
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Fakt 01: Autofahrer berichten, dass sie ihre Windschutzscheibe heute seltener reinigen müssen als früher.
Problem: es handelt sich um eine sehr subjektive Wahrnehmung, der wissenschaftliche Beweis fehlt, die Aerodynamik der Automobile wurde ebenfalls optimiert.
Die Beobachtung kann daher als Beleg für den Insektenrückgang nicht herangezogen werden.
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Fakt 02: Repräsentative Umfrageergebnisse des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der DWS stützt die Beobachtung der Wissenschaftler
- 77 % der Befragten gaben an, dass sie immer weniger Schmetterlinge sehen
- 73 % finden, dass dies ein „großes“ oder sogar „sehr großes“ Problem ist
- 72 % der Befragten betrachten den Lebensraumverlust als Hauptursache – insbesondere den Mangel an artenreichen Blumenwiesen
Damit stimmt der Eindruck der Bevölkerung mit dem überein, was Wissenschaftler bestätigen.
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Fakt 03: Auswertung der Roten Listen heimischer Insektengruppen bestätigt die Beobachtung
- 7.802 Insektenarten sind in Roten Listen aufgeführt
- davon 42,5 % mit negativer Bestandsentwicklung
- davon 358 „ausgestorben oder verschollen“
- davon 3696 „selten“ bis „extrem selten“
- vor allem Habitatspezialisten unter den gefährdeten Arten
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Fakt 04: Auswertung Bundesamt für Naturschutz bestätigt Abnahme von Rote-Liste-Insektengruppen in den letzten 20 Jahren (1992-2012)
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Fakt 05: Rückgang von Schwebfliegen und Schmetterlingen am Randecker Maar
Die ornithologische Beobachtungsstation am Randecker Maar dokumentiert seit dem Jahr 1972 auch den Herbstzug der Schmetterlinge und Schwebfliegen.
Im Beobachtungszeitraum konnten erfasst werden:
"früher" "heute" Kohlweißlinge > 1000 / Tag < 20 / Tag = Rückgang um ca. 98 % Tagpfauenauge > 0400 / Tag ~ 01 / Tag = Rückgang um ca. 99 % Schwebfliegen < 1500 / Tag „Erfassung
nicht mehr
lohnend“= Rückgang um ca. ?? % -
Fakt 06: Rückgang der Mörtelbienen am Goldberg im Nördlinger Ries
Erfassung der häufigen Mörtelbienen (Megachile parietina) am Goldberg im Nördlinger Ries in den Jahren 2006 bis 2016 (10 Jahre)
2006 2010 2016 Anzahl Nester 34 33 15 = Rückgang um 55 % -
Fakt 07: Rückgang der Schmalbienen-Art Lasioglossum calceatum
Erfassung der Schmalbienen-Art Lasioglossum calceatum im Naturschutzgebiet (NSG) „Eierberg“ auf der Schwäbischen Alb in den Jahren 1970 bis 2016 (46 Jahre)
1970 2016 Anzahl Nester 130 5 = Rückgang um 95 % -
Fakt 08: Rückgang der Wildbienen in den Isarauen
Erfassung der Wildbienen in den Isarauen bei Dingolfing in den Jahren 2006 bis 2016 (10 Jahre)
2006 2016 Anzahl Arten 58 14 = Rückgang um 75 % -
Fakt 09: Rückgang von Tagfaltern und Widderchen im NSG "Am Keilstein" (Bayern)
Erfassung der Tagfalter und Widderchen im NSG „Am Keilstein“. Auswertung von Literatur- und Sammlungsdaten der Jahre 1770 bis 2013 (~200 Jahre)
Zeitraum
1840 - 1879Zeitraum
1900 - 1929Zeitraum
1970 - 2010Zeitraum
2010 - 2013Anzahl Arten 130 133 121 71 Zu-/Abnahme - + 3 - 12 - 50 Vor allem Habitatspezialisten sind betroffen
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Fakt 10: Rückgang Nachtfalter im Inntal und am Stadtrand von München
Erfassung der Nachtfalter im Inntal bei Aigen und am Stadtrand von München seit 1980 bis 2016 (36 Jahre)
Entwicklung Individuenzahl Entwicklung Artenzahl Inntal bei Aigen -50 % -55 % Anzahl Arten Heute gibt es nur 1/3 so viele Nachtfalter auf den Wiesen im Inntal bei Aigen als in den Randbezirken Münchens!
Lebensbedingungen für Nachtfalter sind in Siedlungsgebieten besser geworden als im Agrarland. -
Fakt 11: Abnahme Tagfalter im Inntal (Bayern)
Erfassung der wiesenbewohnenden Tagfalter im Inntal bei Aigen von 1976 bis 2016 (40 Jahre)
Abnahme der Arten um 73 %
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Fakt 12: Abnahme Silbermund-Grabwespe in Hessen
Erfassung der Silbermund-Grabwespe (Lindenius albilabris) von 1990 bis 2015 (25 Jahre) in Hessen
Bestandsrückgang um 70 %
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Fakt 13: Rückgang Falter an 7 Standorten bei Trier (Rheinland-Pfalz)
Erfassung der Falter an 7 Standorten bei Trier in den Jahren 1972 und 2001 (30 Jahre)
Besonders deutliche Rückgänge bei Arten, die hohe Ansprüche an den Lebensraum stellen und wenig mobil sind:
Rückgang Rückgang Habitatansprüche allgemein Generalisten 14,3 % Spezialisten 55,5 % Habitatansprüche Struktur niedrig 29,8 % hoch 60,0 % Habitatansprüche Größe < 4 ha 43,2 % > 16 ha 62,8 % Wanderfähigkeit hoch 40,2 % niedrig 56,3 % Populationsgröße groß 28,6 % klein 61,1 % Nahrungspräferenzen (Larven) polyphag 36,5 % monophag 66,2 % Fortpflanzung r-Stratege 45,0 % K-Stratege 58,6 % -
Fakt 14: Rückgang Biomasse flugaktiver Insekten im NSG "Orbroicher Bruch" (NRW)
Erfassung der Biomasse flugaktiver Insekten mit Malaisefallen im NSG „Orbroicher Bruch“ 1989 bis 2013 (24 Jahre)
1989 2013 Standort 1 1117,1 g 257,3 g = Rückgang um 77 % Standort 2 1425,6 g 294,4 g = Rückgang um 79 % Auffälliger Rückgang seit Mitte der 90er Jahre
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Fakt 15: Rückgang der Schwebfliegen an 6 Standorten im Wahnbachtal (NRW)
Erfassung der Schwebfliegen an 6 Standorten im Wahnbachtal von 1989 bis 2014 (25 Jahre)
1989 2014 Artenzahl 143 104 = Rückgang um 24 % Individuenzahl 17291 2737 = Rückgang um 84 % -
Fakt 16: Rückgang Großschmetterlinge an 6 Standorten im Wahnbachtal (NRW)
Erfassung der Großschmetterlinge an 6 Standorten im Wahnbachtal von 1989 bis 2014 (25 Jahre)
1989 2014 Artenzahl 132 103 = Rückgang um 22 % Individuenzahl 2096 922 = Rückgang um 56 % -
Fakt 17: Hoher Gefährdungsstand von Tagfaltern in Roten Listen
Vergleich der Roten Listen Deutschlands und NordrheinWestfalens (2011) zum Gefährdungsstand der Tagfalter
Rote Liste BRD Rote Liste NRW Rote Liste BW 04 Arten gelistet 184 129 190 Status
„bestandsgefährdet“ (3),
„stark gefährdet“ (2)
„vom Aussterben bedroht“ (1)
„ausgestorben“ (0)41,8 % (77) 69,9 % (90) 52,6 % (100) Status
„vom Aussterben bedroht“ (1)6,5 % (12) 18,6 % (24) 15,3 % (29) Status
„ausgestorben“ (0)2,7 % (5) 24,8 % (32) 3,7 % (7) -
Fakt 18: Rückgang der Wildbienen und Wespen im NSG "Burgaue" (Sachsen)
Erfassung der Wildbienen und Wespen im NSG „Burgaue“ im Rahmen des Leipziger Auwaldkranprojekts von 2002 bis 2016 (14 Jahre)
Rückgang bei Wildbienen und Wespen Artenzahl Rückgang 49 % Individuenzahl Rückgang 71 % Die Studie zeigt, dass sogar natürliche Waldbiotope heute nur noch einen Bruchteil der Insekten beherbergen, wie noch vor 14 Jahren
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Fakt 19: Rückgang von Heuschrecken, Zikaden und Wanzen in Stolzenau und Leese
Erfassung der Heuschrecken, Zikaden und Wanzen an mehreren Standorten bei Stolzenau und Leese in den Jahren 1951 und 2009
Individuenzahl Heuschrecken - 63 % Zikaden - 64 % Wanzen + 28 % Bei der Artenvielfalt wurde bei allen drei Insektengruppen eine leichte Zunahme registriert. Erklärung: Diese Insektengruppen werden durch den Klimawandel begünstigt (wärmeliebende Arten), jedoch sinken die Individuenzahlen durch verschlechterte Lebensbedingungen.
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Fakt 20: Rückgang Tagfalterarten in Flandern (Belgien)
Analyse der Populationsverluste der 64 in Flandern heimischen Tagfalterarten von 1901 bis 2000 (100 Jahre)
- 19 der 64 Tagfalterarten sind seit 1901 ausgestorben
Flandern ist die Region mit der höchsten Anzahl ausgestorbener Tagfalter in Europa - Die Aussterberate hat sich seit 1950 verachtfacht
- 50 % der verbliebenen Arten weisen einen Bestandsrückgang auf
- Ausbreitung: 90 % der Vorkommen sind seit 1901 verschwunden
Besonders betroffen sind Arten des mageren Grünlandes und solche mit niedrigem Ausbreitungspotenzial
- 19 der 64 Tagfalterarten sind seit 1901 ausgestorben
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Fakt 21: Populationsverluste bei 20 Schmetterlingsarten in den Niederlanden
Analyse der Populationsverluste bei 20 Schmetterlingsarten in Landschaften mit hoher anthropogener Nutzung zwischen 1992 und 2007 (15 Jahre)
- 55 % (11 von 20 Arten) sind im Bestand stark gefallen
Rückgang erfolgte vor allem in der Agrarlandschaft, in Wäldern und in urbanen Landschaften
In Naturschutzgebieten sind die Bestände stabil geblieben -
Fakt 22: Rückgang Wildbienenarten und Schwebfliegen in den Niederlanden und Großbritannien
Untersuchung der Bestandsentwicklung solitärer Wildbienenarten und Schwebfliegen sowie der Auswirkungen auf die Bestandsentwicklung der auf Insektenbestäubung angewiesenen Wildpflanzen, vor und nach 1980
Bestandsentwicklung Niederlande Großbritannien Wildbienen 67 % 52 % 4 % 10 % Schwebfliegen 17 % 33 % 34 % 25 % -
Fakt 23: Rückgang Wildbienenarten und Schwebfliegen und auf Insektenbestäubung angewiesene Wildpflanzen in den Niederlanden und Großbritannien
Untersuchung der Bestandsentwicklung solitärer Wildbienenarten und Schwebfliegen sowie der Auswirkungen auf die Bestandsentwicklung der auf Insektenbestäubung angewiesenen Wildpflanzen, vor und nach 1980
- Abnahme der Artenzahl vor allem bei den Habitatspezialisten. Zunahme vor allem bei zugewanderten südlichen Arten (Klimawandel?). Relativ stabile Bestandsentwicklung bei den Habitat-Generalisten
- Signifikante parallele Bestandsabnahme der auf Insektenbestäubung angewiesenen Wildpflanzen zeigt möglichen Zusammenhang auf (Kaskadeneffekt)
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Fakt 24: Rückgang Nachtfalter in Großbritannien
Erfassung der Nachtfalter in ganz Großbritannien in den Jahren 1968 bis 2007 (40 Jahre) im Rahmen des „The State of Britains Larger Moths“-Reports 2013
- Die Individuenzahl der Nachtfalter in Großbritannien hat sich seit 1968 um Ø 28 % reduziert
- Im Süden Großbritanniens ist die Individuenzahl sogar um 40 % zurückgegangen
- Bei 2/3 der 337 in GB heimischen Nachtfalterarten zeigen seit 1968 einen Bestandsrückgang. Bei 50 % dieser Arten hat sich die Zahl der Individuen halbiert
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Fakt 25: Rückgang der Laufkäfer an 11 Orten in Großbritannien
Erfassung der Laufkäfer zwischen 1994 und 2008 (14 Jahre) an 11 Orten in ganz Großbritannien
- Seit 1994 ist 3/4 der heimischen Laufkäferarten in ihrem Bestand zurückgegangen
- Der Süden Großbritanniens ist mit einem Rückgang von 52 % besonders stark betroffen
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Fakt 26: Rückgang der großen Nachtfalter nahe Tompa (Ungarn)
Erfassung der großen Nachtfalter mit Lichtfallen nahe Tompa in Ungarn zwischen 1962 und 2000 (38 Jahre)
1962 2000 Artenzahl 325 210 = Rückgang um 35 % Individuenzahl ~ 35000 ~ 10000 = Rückgang um 70 % Szentkiralyi führt die massiven Rückgänge auf die anthropogenen Veränderungen der Umwelt zurück: Waldnutzung, Verschwinden extensiven Grünlands, Zunahme von Ackerböden, Entwässerung, Zunahme der Dürreperioden und Verschwinden von Kleingewässern
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Fakt 27: Europaweiter Rückgang Rote-Liste-Falterarten
Untersuchung des Zustandes und der Verbreitung aller 576 europäischen Rote-Liste-Falterarten zwischen 1980 und 2005 (25 Jahre)
- Die Verbreitung der 576 R-L-Falterarten ist insgesamt um 11 % zurückgegangen
- Die Verbreitung der Generalisten hat sich um 1 % reduziert
- Die Verbreitung der Spezialisten ist um 19 % (Wiesenarten), 15 % (Feuchtgebietsarten) und 14 % (Waldarten) zurückgegangen! Anzeichen für Verluste bedeutender Habitate
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Fakt 28: Abnahme Grünlandschmetterlinge in 19 europäischen Ländern
Auf 3.500 Transekten wurden in 19 europäischen Ländern für den Zeitraum 1990 bis 2011 (21 Jahre) Daten für 17 Tagfalterarten erhoben und ausgewertet
Art Trend Habitatansprüche Erläuterung Thymian-Ameisenbläuling stark negativ ↓ hoch Kleines Wiesenvögelchen negativ ↘ niedrig Auch häufige Arten von neg. Einwirkungen betroffen Mauerfuchs negativ ↘ hoch Kleiner Feuerfalter negativ ↘ hoch Heller & Dunkler Wiesenknopf-Ameisenbläuling negativ ↘ hoch Großes Ochsenauge negativ ↘ niedrig Auch häufige Arten von neg. Einwirkungen betroffen Hauhechel-Bläuling negativ ↘ mäßig (Dunkler-) Kronwicken-Dickkopffalter negativ ↘ mäßig Aurorafalter neutral → niedrig Wirtspflanzen z.B. Wiesen-Schaumkraut, Lauchkraut häufig Himmelblauer Bläuling neutral → hoch Wenige Vorkommen sind gut geschützt Roter Würfel-Dickkopffalter positiv ↗ hoch Eher südeuropäische Art - profitiert vom wärmeren Klima (Goldener-) Skabiosen-Scheckenfalter ? hoch Rostfarbiger Dickkopffalter ? niedrig Rotklee-Bläuling ? mäßig Zwerg-Bläuling ? mäßig Silbergrüner Bläuling ? mäßig Mattscheckiger Braun-Dickkopffalter ? hoch -
Fakt 29: Rückgang Wirbellose in Fließgewässern
Untersuchung der Auswirkungen von Pestiziden auf die Artenvielfalt der Wirbellosen in Fließgewässern in Deutschland, Frankreich und Australien.
- Abnahme der Artenvielfalt bei Pestizidbelastung um bis zu 42 % (Signifikante Abnahme auch innerhalb der in Deutschland zulässigen Grenzwerte)
Betroffen sind vor allem sensible Organismen wie Steinfliegen, Köcherfliegen, Libellenlarven und der Steinkrebs (Indikatororganismen für Gewässergüteklasse I-II)
Des Weiteren zeigen Schäfer et al. (2016) die multiple Wirkung organischer Toxine aus der Landwirtschaft auf Organismen des Makrozoobenthos in Gegenwart von Degradierung, Nährstoffeintrag und Neobiota, als zentrale Stressoren in Gewässerökosystemen.
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Fakt 30: Rückgang wandernder Schwebfliegen, Waffenfliegen und Schlupfwespen
50-jährige Untersuchungen an migrierenden Schwebfliegen, Waffenfliegen und Schlupfwespen belegen extreme Rückgänge
An der 1969 gegründeten Forschungsstation Randecker Maar auf der Schwäbischen Alb wurden neben dem Vogelzug ab 1970 auch wandernde Insekten im Sommer und Herbst auf ihrem Weg nach Süden quantitativ erfasst. Hier wird der südwärts gerichtete Zug durch einen Gebirgspass horizontal und vertikal gebündelt. In dieser Arbeit vergleichen die Autoren die Ergebnisse wandernder Schwebfliegen (Syrphidae) sowie Waffenfliegen (Stratyomyidae) und Schlupfwespen (Ichneumonidae) aus den 1970er und 1980er Jahren mit denen der Jahre 2014–2019.
- Bei den Schwebfliegen zeigt der Vergleich einen starken Rückgang der Arten mit zoophag/aphidophager Larvenentwicklung auf unter 10 %.
- Gleichzeitig erfasste Waffenfliegen (Stratiomyidae) und Schlupfwespen (Ichneumonidae) gingen auf etwa 16 bzw. 14 % zurück
- Der Vergleich der ersten Jahre (1970–1974) mit den Werten der letzten Jahre (2014–2019) zeigt bei Arten, deren Larven räuberisch zoophag/aphidophag vor allem von Blattläusen leben, einen Rückgang auf nur noch rund 3 %
Ursachen des Insektensterbens
Aufgrund der sehr komplexen ökologischen Prozesse in der Natur, gibt es selten nur eine einzige Ursache für ein beobachtetes Phänomen. Auch für das Insektensterben ist sehr wahrscheinlich, dass wir es mit einem Bündel verschiedener Einflussnahmen zu tun haben, die letztlich im Insektensterben resultieren.
Viele dieser Faktoren - das muss gesagt werden - sind in Zusammenhang mit der aktuell praktizierten agroindustriellen Landwirtschaft zu sehen. Auch die Bundesumweltministerin Barbara Hendricks fordert daher einen "... Kurswechsel in der Landwirtschaftspolitik ...".
Im folgenden sollen die Ursachen bzw. Hypothesen zum Insektensterben nur kurz gelistet werden:
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Vergiftung der Landschaft
Gasförmige, flüssige oder leicht lösliche Schadstoffe werden verdriftet und entfalten auch weit außerhalb ihrer Eintragungsorte ihre tödliche Wirkung
Flugaktive Insekten haben oft einen großen Aktionsradius. Durch ihre Mobilität werden sie von Schadstoffen im Umfeld belastet.
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Neonicotinoide
Einen wahren Kahlschlag in der Insektenfauna verursachen die seit Anfang der 1990er Jahre in der Landwirtschaft eingeführten Neonicotinoide. Hierbei handelt es sich um Insektizide, welche schädigend in das Nervensystem von Insekten eingreifen (Die am häufigsten eingesetzten Wirkstoffe sind Thiacloprid und Acetamiprid)
- schädigen den Orientierungssinn
- reduzieren das Lernvermögen
- schwächen das Immunsystem
- erhöhen bei Honigbienen die Replikation des tödlichen DWVVirus-Genoms um mehr als das Tausendfache
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Überfrachtung mit Stickstoff
Heute wird unsere Landschaft mit Stickstoff aus der Landwirtschaft (Mist, Gülle und Gärreste), dem Straßenverkehr sowie aus industriellen und städtischen Gas-, Kohle- und Ölverbrennungsanlagen (Stickoxide) überfrachtet
- In Niedersachsen werden pro Jahr rund 60 Millionen Tonnen Gülle, Mist und Gärreste aus Biogasanlagen in die Landschaft getragen
- Deutschlandweit besteht aktuell ein Stickstoffüberschuss im Offenland von rund 97 %
- Folge: Das Spektrum an Pflanzenarten reduziert sich zunehmend auf wenige stickstoffverträgliche oder stickstoffliebende Arten wie Löwenzahn oder Brennnessel. Entsprechend gering ist die Artenvielfalt der Insekten
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"Gerade Linien in quadratischen Landschaften"
In einer geordneten und auf dem Reißbrett geplanten Landschaft wie wir sie heute vorfinden, gibt es kaum noch Platz für natürliche Entwicklungen.
Gerade Linien führen zu einem immensen Flächenverlust der Biotoptypen. Weniger Lebensraum bedeutet weniger Tiere und Pflanzen
Hecken, Böschungen sowie Waldrand- und Ufervegetationen wurden in den letzten Jahrzehnten in erheblichem Umfang reduziert. Die Folge: Rückzugsräume, Entwicklungsräume und Nahrungsquellen für Insekten verschwinden zunehmend aus unserer Landschaft
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Verinselung
Ursprünglich zusammenhängende Lebensräume werden durch den Bau von Siedlungen, Straßen, Bahnlinien, Staustufen sowie vor allem, durch die intensive Agrarnutzung in mehrere Untereinheiten zerschnitten.
- Tiere und Pflanzen werden reproduktiv voneinander getrennt (Separation)
- Verursacht eine genetische Verarmung, die leicht zum Aussterben der Art in einem Teillebensraum führen kann (Fehlender genetischer Austausch führt zu verminderter Resistenz gegenüber Krankheiten und mikroklimatischen Veränderungen im Teilhabitat)
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Habitatzerstörung
Täglich fallen Lebensräume von Tieren und Pflanzen dem Bau von Siedlungen, Straßen, Industriegebieten, Bahnlinien, Stromleitungen und Windenergieanlagen zum Opfer. Dank gesetzlicher Regelungen werden die meisten Eingriffe in Form von Biotopanlage, Biotoppflege und Durchführung populationserhaltender Maßnahmen kompensiert. Verlorene Lebens- und Fortpflanzungsstätten können i.d.R. ersetzt werden, der durch eine Baumaßnahme versiegelte Naturraum ist jedoch dauerhaft verloren.
- Deutschland hat eine Fläche von rund 35,7 Mio. Hektar. 16,6 Mio. Hektar davon, sind reine Agrarflächen, welche aus Sicht der Biodiversität degradierte Lebensraumflächen darstellen.
- Jährlich kommen 24.000 Hektar versiegelte Fläche durch Baumaßnahmen hinzu
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Habitatentwertung
Häufig werden die Vorkommen sensibler Tier- und Pflanzenarten durch falsche Pflege und Intensivierung, aufgrund fehlenden Verantwortungsbewusstseins, Fehlanreizen durch Förderinstrumente der Landwirtschaft sowie dem Streben nach maximalem Ertrag pro Fläche, geschädigt oder zerstört
- zu häufige Mahd (Fortpflanzungserfolg der Insekten wird erheblich gestört / Artenvielfalt der Pflanzen geht verloren)
- zu frühe Mahd (Pflanzen kommen nicht zur Samenreife, Arten gehen verloren)
- Nutzungsaufgabe (Folge: Verbuschung und Sukzession)
- Intensivierung (z.B. ausbringen von Dünger auf magerem Grünland)
- Sukzession (Biotope werden nicht gepflegt – Lebensraumtypen mit angepassten Arten gehen verloren)
- fehlende Blüh- und Randstreifen (intensive Äcker werden bis an den Feldwegrand bewirtschaftet – „Agrarwüsten“)
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Klimawandel
Auch in Deutschland ist die Klimaerwärmung im vollen Gange. So waren die Jahre 2000, 2002, 2006, 2007, 2011, 2014, 2015 und 2016, neben 1934 und 1994, alle in der Top 10 der wärmsten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen 1881!
- Folgen durch Neobiota, Pilze, Viren, …
- Folgen durch Veränderung der Temperatur und der Niederschläge im Jahresverlauf
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Lichtverschmutzung
Die allgegenwärtige künstliche Beleuchtung stellt nachtaktive Insekten vor immer größere Probleme und verändert ganze Ökosysteme
- Zahlreiche Falterarten werden vom Licht der Straßenlaternen oder Leuchtreklamen angezogen. Grund dafür ist das kurzwellige Licht mit einem hohen Blau- und Ultraviolettanteil, auf das die Sensoren der Falter zur räumlichen Orientierung empfindlich reagieren
- Diese künstlichen Lichtquellen stören erheblich den Lebensrhythmus und das Fortpflanzungsverhalten nachtaktiver Insekten! Häufig verbrennen sie an der heißen Oberfläche der Lampen
Durch Verwendung von LEDs oder Natriumdampf-Hochdrucklampen kann das Risiko für Insekten reduziert werden (kein UV-Anteil, Warmlicht)
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Umbruch von Grünland in Ackerland
Neben der Intensivierung der Grünlandnutzung hat vor allem die Umwandlung von Dauergrünland in Ackerland einen wesentlichen dezimierenden Einfluss auf die Insektenfauna.
Deutschlandweit wurden in den letzten 10 Jahren über 5 % des Dauergrünlands in Ackerland umgebrochen
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Verkehrsopfer
Ein weiteres Puzzlestück auf der Suche nach einer Antwort für den derzeitigen dramatischen Rückgang der Insektenfauna, sind die Millionen von Insekten welche Tag täglich im Straßen-, Bahn- und Flugverkehr getötet werden
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Naturferne Gärten
In Regionen in denen es im Offenland kaum noch natürliche Habitate für Falter, Wildbienen oder Schwebfliegen gibt, sind naturnahe und Blütenreiche Gärten und Parkanlagen in Ortschaften wichtige Rückzugsgebiete für Insekten. Ein naturnah gestalteter Garten erfordert jedoch einen gewissen Umfang an Pflege und der Duldung natürlicher Entwicklungen.
Leider häufen sich in unseren Siedlungen zunehmend sogenannte „Designergärten“ mit perfekt getrimmten Golfplatzrasen, Steinmauern und Mosaiken aus Kies anstelle blühender Hecken und Stauden. Ein Trend mit negativen Folgen für die Insektenfauna im Siedlungsraum
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Summations- und Kaskadeneffekte
Oft ist es die Summe aus mehreren möglichen Ursachen, die in einem Gebiet zum Rückgang der Artenvielfalt führt (= Summationseffekt). Mit steigender Anzahl der negativen Einflüsse, nimmt das Ausmaß des Artenrückgangs zu. Des Weiteren können Auswirkungen unbekannte Folgewirkungen nach sich ziehen (= Kaskadeneffekt) Beispiel: Stickstoffeintrag in einem Gebiet führt zum Verlust wichtiger Wirtspflanzen, wodurch die Insektenvielfalt sinkt. Dadurch kann es zu einer Bestandsabnahme insektenfressender Vögel kommen.
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Gesellschaft und Konsumverhalten
Landwirtschaft, Produktion, Dienstleistung, Mobilität und Lebensmittelindustrie reagieren nicht nur, sondern hängen unmittelbar von unseren täglichen Bedürfnissen, unserem Konsumverhalten und Ansprüchen ab. Unser Lebensstil formt die Landschaft und die belebte Natur vor unserer Haustüre. Solange die wohlhabenden Gesellschaftsschichten nicht für einen genügsameren Lebensstil mit geringeren Ansprüchen, weniger Konsum und weniger Mobilität bereit sind, werden alle Bemühungen dem Verlust der Artenvielfalt entgegenzuwirken, dem Druck der Nachfrage und der Marktwirtschaft nicht standhalten können.